Ohne Heringe wäre nicht nur die europäische Historie vermutlich anders verlaufen

Schon seit Jahrtausenden fangen und fischen Menschen massenhaft Heringe rund um die Welt. Als Speisefische sind die zumeist in riesigen Schwärmen auftretenden und lebenden Heringsartigen (Clupeiformes) bis heute von allergrößter Bedeutung für die kommerzielle Fischerei.

Heringe waren einst derartig zahlreich in sämtlichen Meeren vertreten, dass die Fische sogar den Ausschlag für diverse Stadtgründungen nahe der Durchzugsgebiete und Laichplätze gaben. Für den norddeutschen Handelsbund Hanse waren Heringe zwischen dem 12. und 17. Jahrhundert eines der wichtigsten und meist transportierten Güter.

Noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts galten Heringe als sehr günstiges sowie für jedermann jederzeit erschwingliches „Arme-Leute-Essen“, dass es überall und einem alten deutschen Sinnspruch zufolge im „Dutzend billiger“ gab. Heute ist der Hering nach wie vor ein global bekannter und beliebter sowie vergleichsweise preiswerter Speisefisch, dessen Bestände jedoch schon seit einiger Zeit durch starke Überfischung zurückgehen.

Alles Wissenswerte sowie viele interessante Informationen, amüsante bis erstaunliche Details und kulinarische Empfehlungen zum Heringsfisch sind in den hier folgenden thematischen Absätzen schön übersichtlich sowie kurz und knapp zusammengefasst.


Heringe biologisch: Hunderte Arten bilden viele Familien und Dutzende Gattungen

gesalzener Hering
gesalzener Hering

Die Ordnung der Heringsartigen (seit 1909: Clupeiformes) zählt biologisch betrachtet zur Kohorte Ostarioclupeomorpha sowie Überkohorte Clupeocephala und gehört jeweils zu den entsprechenden Klassen der Echten Knochenfische (Teleostei) sowie Neuflosser (Neopterygii) und der Strahlenflosser (Actinopterygii). In der einschlägigen Systematik sind aktuell ca. 400 Arten aus 84 Gattungen, sieben Familien und den beiden Unterordnungen Denticipitoidei und Clupeoidei bekannt.

Die Erstgenannte umfasst mit den Stachel- oder Zähnchen-Heringen (Denticeps clupeoides) lediglich eine einzige, in den beiden Flüssen Ouémé in Benin und Mungo River in Kamerun sowie im Nigerdelta in Nigeria in Westafrika endemisch lebende Art. Um einiges größer und umfangreicher ist die zweite Unterordnung mit ihren sechs Unterfamilien Alosinae, Clupeinae, Coiliinae, Dorosomatinae, Ehiravinae und Engraulinae.

Zu diesen zählen neben Sardellen (Engraulidae), Wolfs- (Chirocentridae) und Beilbauchheringen (Pristigasteridae) mit deren beiden Unterfamilien Pelloninae und Pristigasterinae auch Rundheringe (Dussumieriidae), die vor allem in tropischen Breiten von Westatlantik (Jenkinsia) und Indopazifik (Spratelloides) lebenden Spratelloididae und „last not least“ die Heringe (Clupeidae).

Diese bereits im Jahr 1817 vom französischen Meers- und Naturforscher sowie Zoologen Georges Cuvier wissenschaftlich klassifizierte Familie gliedert sich in die genannten Unterfamilien Alosinae, Clupeinae, Dorosomatinae und Ehiravinae. Alosinae umfassen 34 Arten aus vier Gattungen, von den die Atlantische bzw. Europäische (Sardina pilchardus) sowie Pazifische Sardine (Sardinops sagax) die Bekanntesten sein dürften. Clupeinae zählt sieben Gattungen mit 15 Arten, berühmt und wirtschaftlich bedeutend sind speziell Sprotten (Sprattus) sowie der Atlantische (Clupea harengus), Chilenische (Strangomera bentincki) und Pazifische Hering (Clupea pallasii).

Insgesamt 30 Gattungen mit zusammen ca. 110 Arten gehören zu den Dorosomatinae, darunter der unter seinem Spitz- oder Zweitnamen „Bony Bream“ bekannte Australische Süßwasserhering (Nematalosa erebi). 11 Gattungen mit 23 Arten werden den Ehiravinae zugeschrieben, wobei nur die Art Tyulka-Sardine (Clupeonella cultriventris) im Kaspischen Meer und die Gattung Sundasalanx in Südostasien ökonomisch bedeutsam sind.

Manche Arten sind übrigens im Bezug auf ihre Lebensräume so flexibel, dass sie sowohl in Süß- als Salzwasser als Hering nach dem Laichen auch weiter leben und überleben können.


Heringe geografisch: Die Fische gedeihen in allen Gewässern und Meeren der Welt

Als wahrhafte Überlebenskünstler bevölkern die jeweiligen Heringsarten sowie Gattungen und Familien wirklich fast jedes Gewässer der Erde. Vorkommen und Verbreitung sind in regionaler Hinsicht so vielfältig, dass es einfacher und leichter ist, die Gegenden und Gebiete ohne als diejenigen mit Heringen aufzuführen.

Die Arten und damit natürlich auch Fanggründe der Gattung Alosa wie zum Beispiel des 2004 in Deutschland zum „Fisch des Jahres“ gekürte Maifischs (Alosa alosa) finden sich vor allem im Atlantik und Mittelmeer sowie in den Oberläufen größerer Flüsse. Eher als Sport- denn Speisefisch bekannt ist der in Süßwasserflüssen des tropischen Südamerika beheimatete Amazonas-Beilbauchhering.

Seine Heimat schon im Namen trägt auch der Atlantische Hering, dessen Schwärme den gesamten Nordatlantik nutzen und sowohl vor Küsten als in bis zu 360 Meter Tiefe im Golf von Biskaya und in der Ostsee sowie rund um Grönland, Island und Spitzbergen leben. Chilenische Heringe dienen zu Fischmehl verarbeitet als sehr fettiges und nährstoffreiches Futtermittel zur Versorgung von Fischfarmen. Wolfsheringe (Chirocentrus) bevorzugen als Raubfische warme Flachgewässer wie das Rote Meer und sind auch vor Australien sowie Japan zu finden.

Ebenfalls im Roten Meer sowie im Atlantik, Pazifik und mittlerweile auch im Mittelmeer fühlen sich Rundheringe wohl. Die zur Ordnung der Heringsartigen zählende Sardine Limnothrissa miodon lebt endemisch im fast 33.000 km² großen Tanganjikasee zwischen Burundi, dem Kongo sowie Tansania und Sambia.

Um sie zu fangen, locken die einheimischen Fischer sie mit nächtlichen Feuern an die Ufer. Vor den Küsten Westafrikas häufig gefangen wird der Heringsartige Ethmalosa fimbriata. Im Atlantik, Indischen Ozean, Mittelmeer und Schwarzen Meer sowie in der Nordsee ist die Europäische Sardelle als Heringsartige Zuhause. Gleiches gilt für die Europäische Sprotte, die mit Sprattus sprattus balticus sogar eine eigene Unterart in der Ostsee aufweisen kann. Einen ähnlichen großen und geografisch gleichen Lebensraum nutzen Finten (Alosa fallax) und Elben, die darüber hinaus auch in den oberitalienischen Seen Lago Maggiore, Lago di Lugano sowie Lago di Como heimisch sind.

Die Ohren- oder Goldsardine aus der Familie der Heringe geht den Fischern besonders vor Brasilien, Venezuela und Westafrika oftmals in deren Netze. Ilisha africana gehört zu den Beilbauchheringen und ist in Flussmündungen und Lagunen sowie vor den Küsten zwischen Angola und Senegal als Heringsfisch häufig Teil des Fangs.


Heringe ökonomisch: Jedes Jahr wird Heringsfisch aller Arten tonnenweise verkauft

frisch gefangene Geringe
frisch gefangene Heringe

Obwohl es angesichts der zahlreichen geschilderten, rund um den Globus lebenden und gefischten Heringsarten so gut wie unmöglich ist, für jede einzelne Art aktuell verlässliche Fangmengen anzugeben, existieren für manche besonders weitverbreitete, viel gefangene und häufig verkaufte sowie konsumierte Arten doch recht genaue Zahlen.

Ein Spitzenreiter ist speziell Clupea harengus als einer der häufigsten und bedeutendsten Speisefische der Welt. Mit ca. 1,5 Millionen Tonnen Fangmenge im Jahr 2015 sind die atlantischen Heringe eindeutig ganz oben in der diesbezüglichen Rang- und Reihenfolge anzusiedeln. Wegen der schwindenden Bestände speziell im Atlantik werden die zulässigen Fangquoten aber seit Jahren immer wieder deutlich von den Behörden gesenkt.

Am Beispiel der britischen Heringsfischerei kann gut veranschaulicht werden, wie dramatisch sich die Einbrüche der Fangmengen im Verlauf des 20. Jahrhunderts entwickelt haben. So ging der Umfang des britischen Heringsfangs alleine zwischen 1938 und 1970 von 276.000 auf 145.000 Tonnen um annähernd die Hälfte zurück. Diese Tendenz setzte sich auch weltweit bis etwa 1980 fort, bevor die Mengen in den 1990-er Jahren wieder wuchsen sowie zwischen 2005 und 2010 fast so hohe Rekordwerte wie in den späten 1960-er Jahre erreichten.

Einer Analyse der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) von 2017 zur Heringsfischerei in der Nordsee zufolge hat sich der Bestand dort zwar etwas erholt, die Fische sind aber relativ klein und weisen nur einen geringen Fettgehalt auf. Das wirkt sich natürlich auch auf die zu erzielenden Preise auf, die seit Jahren auf relativ niedrigem Niveau liegen.

Hiervon sind insbesondere traditionelle Fischfangnationen wie Norwegen stark betroffen, die deshalb auch schon länger strenge Schutzmaßnahmen zum Erhalt der Bestände befolgen. Darum ist der gesamte norwegische Heringsfang nach den Normen des „Marine Stewardship Council (MSC)“ zertifiziert, womit hohe Nachhaltigkeitsstandards erfüllt werden.

Norwegen verbietet außerdem den Fang von Heringen unter 25 cm Größe sowie von Hering nach dem Laichen und in der Laichzeit, um jüngere Fische zu schützen und sicherzustellen, dass Heringe auch kommenden Generationen noch ein sicheres und zuverlässiges Einkommen bieten.


Heringe kulinarisch: Bismarckhering, Brathering, Heringssalat, Matjes und viel mehr

Matjesfilets
Matjesfilets

Heringe sind archäologischen Funden zufolge schon seit mindestens 5.000 Jahren ein auf aller Welt vielfach sowie in zahlreichen Zubereitungen konsumiertes Grundnahrungsmittel. Die von Menschen heute am häufigsten verzehrten sowie damit kommerziell wichtigsten Heringsarten gehören zur Gattung Clupea, die vor allem in den flachen und gemäßigten Gewässern des Nordpazifiks und Nordatlantiks und der Ostsee sowie vor der Westküste Südamerikas vorkommen.

Heringe spielen eine zentrale Rolle in der Meeresfischerei in Europa und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war ihr Studium grundlegend für die Entwicklung der Fischereiwissenschaft. Diese öligen und fettigen Fische haben auch eine lange Geschichte als Speisefisch und werden oft gesalzen, geräuchert oder eingelegt und mariniert serviert. Ernährungsphysiologisch glänzen Heringe gleichermaßen durch beste Eigenschaften und werden deshalb häufig als äußerst gesund empfohlen.

So besteht rohes atlantisches Heringsfleisch zu 72 Prozent aus Wasser, 18 Prozent aus Proteinen, 9 Prozent aus Fett und enthält keine Kohlenhydrate. In einer 100-Gramm-Referenzmenge weisen rohe Heringe lediglich 158 Kalorien auf und sind eine ergiebige Quelle für Vitamin B12, von den sie über 20 Prozent der benötigten Tagesmenge liefern können.

Heringe haben auch einen hohen Gehalt an Vitamin B6, Vitamin D, Niacin und Phosphor enthalten moderate Mengen an anderen B-Vitaminen sowie Zink und sind eine ausgezeichnete Nahrungsquelle für wertvolle Omega-3-Fettsäuren. In allen traditionsreichen Fanggebieten gibt es ebensolche Heringsgerichte, die oftmals auch ein Bestandteil bzw. der Mittelpunkt großer Volksfeste sind.

Matjes mit Zwiebeln
Matjes mit Zwiebeln

Eine typisch saisonale holländische Delikatesse ist der „Hollandse Nieuwe“ (Holländischer Neuer), die aus frischen und kurz eingelegten Heringen aus den ersten Fängen zum Ende des Frühlings besteht und typischerweise etwa beim Vlaardinger Heringsfest und Vlaggetjesdag in Scheveningen mit rohen Zwiebeln gegessen wird.

In den Niederlanden mindestens ebenso populär sind Matjes aus besonders milden und vor der Geschlechtsreife verarbeiteten sowie in Salzlake gereiften Heringen. In Norwegen werden Heringe häufig in Holzfässern gesalzen gelagert und stellen die Grundlage für die delikate Spezialität „Spekesild“ mit Kartoffeln, rohen Zwiebeln, Dill, Rüben, Butter und Fladenbrot dar.

Im Nachbarland Schweden sind über mehrere Monate mit wenig Salz fermentierte, säuerlich schmeckende und sehr stark riechende Heringe als „Surströmming“ bekannt. Als regionale Delikatesse gilt dort auch der „Sotare“, für den Hering räuchern das überlieferte Rezept ist. In der deutschen wie polnischen sowie baltischen Küche sind gepökelte und anschließend in Essig, Salz und Zucker mit Pfefferkörnern, Lorbeerblättern und Zwiebeln eingelegte Heringe beliebt sowie speziell hierzulande als „Bismarckhering“ berühmt.

In ganz Osteuropa und Russland schätzt man Heringssalat aus gewürfeltem Salzhering, geriebenem gekochtem Gemüse wie Kartoffel, Karotte und Rote Bete sowie gehackten Zwiebeln, Mayonnaise und gekochten Eiern. Hering räuchern ist eine uralte Methode, die Fische länger genießen zu können.

In Großbritannien gerne gegessen werden vollständig oder auch nur teilweise ausgenommene sowie kalt bzw. heiß geräucherte Heringe, die als „Bloater“, „Buckling“ und „Kipper“ auf den Speisekarten stehen. Hering in Tomatensauce ist in Dosen abgepackt hingegen in Supermärkten auf aller Welt zu finden.


Heringe folkloristisch: Sogar Dichter widmeten dem Alltagsfisch gewählte Worte

Da Heringe uns Menschen schon so lange als Nahrung begleiten, kann es auch nicht sehr verwundern, dass die allgegenwärtigen Fische häufig zum Gegenstand von Sprichwörtern und Sinnsprüchen sowie Fabeln und Gleichnissen geworden sind. So soll vom deutschen „Dichterfürst“ Johann Wolfgang von Goethe der Ausspruch stammen, dass „Begeisterung keine Heringsware ist, die man auf einige Jahre einpökeln kann“.

Die manchmal auch schwärmerisch als „Silber des Meers“ gewürdigten Fische wurden vom deutschen Dichter und Übersetzer Christian Morgenstern in dessen Gedicht „Fisches Nachtgesang“ ebenfalls ausführlich sowie sogar als musikalisch gerühmt. „Wie die Heringe stehen“ war schon im 17. Jahrhundert eine gängige Redewendung für dichte Menschenmassen, die sich auf die enge Packweise im Heringsfass bezog.

Ausgesprochen dünne Zeitgenossen werden teils noch heute als „dürre Heringe“ bezeichnet. Als Variante für einen Spatzen, den man lieber in der Hand hat als die Taube auf dem Dach, gibt es auch Heringe auf dem eigenen Tisch, welche einem fremden Fisch vorzuziehen sind. Dänen behaupten wiederum, dass „viele Heringe dazu gehören, einen Wal zu vertreiben“ und in Böhmen wurden Heringe früher als Allheilmittel gepriesen, die den Doktor überflüssig bzw. unbekannt machen.

Wem im 13. Jahrhundert „Heringe durch den Hals schossen“ galt als Trunkenbold, „faule Heringe ins Land bringen“ war einst der niederländische Ausdruck für Anhänger irriger Ansichten und falscher religiöser Lehren.

Ein „red herring“ ist im Englischen ein Ablenkungsmanöver, mit dem man jemanden erfolgreich täuscht sowie auf die falsche Fährte lockt. Der von zum Kochen eher nicht befähigten Junggesellen sowie Besuchern von Musikfestivals gerne als „Notnahrung“ in Dosen gekaufte Hering in Tomatensauce ist auch rot, aber soweit bekannt bislang noch niemals poetisch, metaphorisch oder symbolisch verewigt worden.


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